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j.s beitrag

du kommst auf ein plenum. du bist neu, entsprechend schüchtern, willst erstmal gucken, wie das hier läuft. du bist aufgeregt, gespannt und versuchst, die stimmung mitzukriegen. du kriegst mit: die leute, die du noch nicht so gut kennst – aber immer noch besser, als die, die du gar nicht kennst – die sind zwar zum scherzen aufgelegt, aber zurückhaltend. als ob sie irgendwas wüssten. aber niemand sagt, was. bist du paranoid? wirre assoziationen in deinem kopf: es ist irgendwas passiert, was hast du verpasst, musst du irgendwas wissen? terror, tod, intrigen, betriebsgeheimnisse? und wann geht’s eigentlich los? naja, kann das akademische viertel sein. kommt er noch? mhh. auf ihn hast du nicht so bock. du kennst ihn zwar auch nicht so gut, aber er ist nicht der typ, der dich sofort anzieht. zu laut. und irgendwie, na, man könnte wohl sagen, der ‘vibe’ stimmt nicht. vielleicht ist er aber auch ziel deiner übertragung, dass, was du nicht sein willst oder dich nicht traust zu sein. auftritt eben der. lautes geblöke, anfangs scherzhaft, aber durchweg aggressiv. irgendwas passt nicht, lief oder läuft nicht so, wie geplant (oder gewünscht). das war wohl die eröffnung des plenums: jetzt schweigen fast alle, hier und da meldet sich wer zu wort, aber: der hauptredeanteil liegt bei ihm. dieses betretene schweigen. ist das nur bei dir betreten oder auch bei den anderen? scheint ja irgendwie gang und gäbe zu sein. kein gutes gefühl, sich so zu fühlen. vielleicht oder wahrscheinlich bist du nicht die type für große öffentliche reden, und überhaupt; lieber erstmal in zurückhaltung üben, aber hier ist es einfach unangenehm. so geht das nicht gut, aber irgendwann vorbei. wie eine lange standpauke als du noch jünger warst, von lehrer*innen oder eltern. nach dem offiziellen teil löst sich der kloß ein wenig, bei allen, du hörst wieder mehrere stimmen mehrere zusammenhängende sätze sprechen. wobei die lauteste immer durchdringt. bis nächste woche? ja, muss ja wohl. hey, ist das immer so super unangenehm hier? dann überleg’ ich mir das vielleicht doch nochmal. sagst du nicht. naja, also irgendwie arrangieren. einen aggressiven ton kennst du doch noch auch von früher, von den männlichen freunden, da konntest du dich ja auch anpassen und reinwachsen. hier ist die wortwahl zwar eine andere, aber das ist ja schnell angepasst. so wie du. hier und da scherze mitmachen, größtenteils dieses schweigen und reden lassen, hier und da ein versuch, einen gegenvorschlag zu machen. später, viel später, sogar mal der versuch kritik zu üben. aber im großen und ganzen: mittragen und stabilisieren. oh, warum weint sie denn jetzt? mhh, das schweigen wird noch betretener. kann man das steigern? offensichtlich. hier und da unterstützen ein paar leute. also freund*innen. also frauen. der rest inspiziert gekonnt den boden, die wände, die decken. ja, mensch, unangenehm. ob das normal ist oder nicht, die frage stellst du dir schon nicht mehr. für den rahmen, nichts außergewöhnliches. nachträgliche einschätzung: in der regel wurden tränen durch aufgabe vermieden. du willst raus, was ist das hier? ah, stimmt, normal und irgendwas willst du ja machen. bis nächste woche? ja, mmh, muss ja wohl. wie geht’s ihr? ja, dumme frage, die du auch nicht stellst. was machen, du willst, ach, musst ja was machen. und er ist halt teil davon. ja, das war schon heftig letztes mal, aber sonst, sonst ist er, ist es ja nicht so schlimm. also geweint wird wirklich selten. und du bist ja auch gerne mal laut. er ist auch laut, nur eben dominanter und. verteidigst du ihn gerade? oder verteidigst du dich? die anderen, ja, die tragen das ja auch mit. ich hab doch schon mal was gesagt, zweimal sogar. und mit den anderen kommst du ja super klar. also mit den meisten. und dich trifft’s ja nicht so schlimm. und du hast ja auch kein problem mit frauen. ok, manchmal musst du dir auf die zunge beißen, um nicht zu hecheln, aber so ein typ wie er, ne, das bist du nicht. du bist besser. und wenn eine frau ihn dir vorzieht, tja, was sollst du da machen? du kriegst ja nichtmal auf’m plenum das maul auf, und überhaupt, ist doch privatsache. wir sind hier doch alle privat. du ertappst dich dabei, wie du  ‘selbst schuld’ denkst. gib’s zu. du arschloch. dir ist ja alles klar, das läuft schief, das ist falsch, so sollte man es machen. und sauer sein, wenn’s anders läuft. du bist wie er, nur nach innen. dass du wohl selbstreflektierter bist, kannst du dir an den hut stecken. deine ignoranz hat leid verursacht und tut es wahrscheinlich heute noch. ‘wahrscheinlich’, haha. irgendwann ist die stimmung so schlecht, dass du gehst, dass du die eine struktur verlässt, und in der anderen struktur tritt der deus ex machina auf, in form von frauen*, die sich wehren, und er geht. und dann bist du alles los, kein thema mehr. und später gehst du zurück, aber so unverbindlich, dass du niemand mehr helfen musst, die können ja austreten, so wie du. aber immerhin kein plenum mehr, in der art. überhaupt nur minimaler kontakt zu ihm, zu denen. dann kann man auch wieder ab und zu scherzen. und heimlich besser sein. bis nächste woche.